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Ein Missionar der friesischen Emanzipation

Tams Jörgensen an seinem 60. Geburtstag in der dänischen Schule in Bräist / Bredstedt (Foto: R. Jörgensen / Archiv NFI)

Am 11. März 2024 wäre Tams Jörgensen 100 Jahre alt geworden. 

Eine Würdigung von Claas Riecken, Lektor am Nordfriisk Instituut

An seiner Wiege hat man es ihm nicht gesungen, dass er einstmals ein Vorkämpfer für die friesische Sprache, ein wissenschaftlicher Experte des Friesischen und der erste Leiter des Nordfriisk Instituut in Bredstedt werden würde. Tams Jörgensen wurde am 11. März 1924 in Husum als Wilhelm Jürgensen geboren und wuchs dort mit Hochdeutsch auf. Das Grauen des Krieges hat sein Leben für immer verändert. So kam es nach 1945 zum Namenswechsel. Da hatte Tams als junger deutscher Wehrmachtssoldat im April 1945 den Zusammenbruch der Oder-Front östlich von Berlin erlebt, war verwundet worden und kurzzeitig in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten. Er kehrte Ende 1945 so schwer traumatisiert nach Husum zurück, dass er mit Deutschland und deutscher Identität nichts mehr zu tun haben wollte. Er schloss sich der dänischen Bewegung an, lernte mit Feuereifer Dänisch, das ihm fortan zur „Herzenssprache“ wurde und fühlte sich nur noch als Däne. Und so danisierte er seinen Namen spätestens um 1950 von Wilhelm Jürgensen zu Wilhelm Tams Jörgensen, dann Vilhelm Tams Jörgensen, V. Tams Jörgensen und schließlich zu Tams Jörgensen. Tams war der Mädchenname seiner Mutter, den er nach dänischem Vorbild als Mittelname einfügte. Später benutze er diesen Mittelnamen als eine Art Ersatzvorname, auch das war und ist in Dänemark üblich. 

Als Tams ab 1949 in Kopenhagen Englisch und Deutsch auf Lehramt studierte, wird er durch seinen Germanistik-Professor Peter Jørgensen (1899-1970) auf das Nordfriesische hingewiesen worden sein, denn Professor Jørgensen war mit einer Sylterin verheiratet, hatte schon selbst zum Friesischen geforscht und erhoffte sich 1949 noch, dass man ihn zum Bearbeiter des großen gesamtnordfriesischen Wörterbuchs berufen würde.  Damit wäre das gesamtnordfriesische Wörterbuch von der Universität Kiel an die Universität Kopenhagen gewechselt, von Deutschland nach Dänemark – damals ein großes Politikum. Doch soweit kam es nicht; das Wörterbuchprojekt blieb in Kiel. Tams Jörgensen hatte allerdings Feuer für das Friesische gefangen und erlernte Mooringer Frasch mit einer ebensolchen Begeisterung und Perfektion wie er es wenige Jahre zuvor mit der dänischen Sprache getan hatte. Im Jahre 1955 verfasste er das erste moderne Wörterbuch des Mooringer Frasch, des stärksten nordfriesischen Dialekts des Festlandes. Es gab damals so etwas wie einen deutsch-dänischen Wettstreit um das Friesische und durch Tams‘ Wörterbuch hatte die dänische Seite lange die Nase vorn. Im Gegensatz zum zupackenden Tams mit seinem praktischen Taschenwörterbuch sortierten die Kieler ihr Wörterbuchmaterial um 1955 noch immer in aller wissenschaftlichen Gründlichkeit, und Kiel blieb Jahrzehnte davon entfernt, etwas Brauchbares zu drucken. Wobei man anfügen muss, dass Tams Jörgensen nicht im Ruf stand, schnell und flüchtig zu arbeiten, im Gegenteil. Sein Streben nach Perfektionismus galt als berühmt-berüchtigt.

Er hatte den alten nordfriesischen Dichter und Schulmann Albrecht Johannsen (1888-1967) als eine Art väterlichen Freund auf seine Seite gezogen und vor Drucklegung seines Wörterbuchs die leidige Frage der „richtigen“ Rechtschreibung des Nordfriesischen (zumindest für das Festland) geklärt. So war er bereits eine Größe in der nordfriesischen Welt, als er 1964/65 zusammen mit anderen jungen Wissenschaftlern, darunter Reimer Kay Holander, das Nordfriisk Instituut in Bredstedt gründete. Hier setzte er sich als eine Art Missionar der friesischen Emanzipation für die friesische Sprache ein. Drei weitere Wörterbücher hat er noch verfasst: 1968 ein westfriesisch-dänisches Wörterbuch, das man umdrehen und dann als dänisch-westfriesisches Werk nutzen konnte, 1977 ein interfriesisches Wörterbuch mit 777 Wörtern in sieben Sprachen bzw. Dialekten plus Deutsch und 1981 ein kleines Nordergoesharder Wörterbuch. Er hatte Charisma und wurde schnell Mittelpunkt der Jugendgruppe des Nordfriisk Instituut. Nächetelang saß er mit den jungen Leuten zusammen und diskutierte mit ihnen über Heimat, Sprache, Identität, Kultur und Geschichte – und zwar auf Friesisch. Weder dominierte er sie, noch drängte er sich in den Vordergrund, aber er machte seinen Standpunkt klar: Es sei nicht gottgegeben, dass Friesisch als Sprache von Viehstall und Grobheit galt und Hochdeutsch als Sprache von Bildung und Kultur. Das seien alles Ungeister, die sich im Kopf von Lehrern und Eltern eingenistet hätten, so dass die junge Generation nicht mehr Friesisch lernen würde. So heißt es im friesischen „Biikensung“ von 1974, ein Lied, das Tams zusammen mit dem Liedermacher Knut Kiesewetter geschrieben hat. Angeregt von Tams hatte die Jugendgruppe des Nordfriisk Instituut 1972 erstmals das Biikebrennen in größerem Maßstab wieder auf das nordfriesische Festland gebracht – und seither breitete sich dieser alte nordfriesische Brauch auf dem Festland rasend schnell aus, auf Inseln und Halligen war er nie zum Erliegen gekommen. Dass sich Kulturen und Identitäten, die kleingehalten und unterdrückt werden, aus ihren Zwängen befreien und emanzipieren, war ihm ein innerstes Anliegen, nicht nur für das Friesische. Er mag an das dänische Lied von 1850 gedacht haben „Længe nok har jeg bondepige været“ (Lang genug bin ich Bauernmädchen gewesen), aber es ging ihm nicht nur um nationale Identitäten. In seiner Umgehensweise mit den jungen Leuten, aber auch mit seinen Kollegen im Nordfriisk Instituut war es ihm völlig fremd, sich als Chef aufzuspielen oder ein stolzes akademisches Brimborium um sich zu verbreiten, obwohl er 1971 zum Leiter des Instituts ernannt wurde. Im Jahre 1983 musste er den Dienst krankheitsbedingt quittieren und ein Jahr später ging er offiziell in den Ruhestand. 

Gestorben ist Tams Jörgensen am Ostersonntag 1987, dem 19. April, in seiner Vaterstadt Husum. Seine Beerdigungsfeier in der Kirche von Langenhorn erfolgte auf Dänisch und Friesisch, und es ging dabei auch um das dänische Lied „Påskeklokken kimed mild“ (Osterglocken läuten mild) von 1850, das aus der Verzweiflung der Niederlage die Hoffnung auf einen dänischen Sieg propagiert.  Von den sechs jungen Leuten, die Tams ausgewählt hatte, ihn zu Grabe zu tragen, sind vier in seine Fußstapfen getreten, sich für das Friesische einzusetzen: Thomas Steensen, Peter Nissen, Christel Petersen und ich.

Bis zum Ende hat Tams Jörgensen sich nicht als Friese, sondern als Däne gefühlt, der für das Friesische arbeitete. Privat hat er viele Leserbriefe an Flensborg Avis geschrieben und die Diskussionen innerhalb der dänischen Minderheit genau verfolgt und mitgeprägt. 

Gibt es vielleicht noch Zeitzeugen, die dem Nordfriisk Instituut hiervon und von weiteren Aspekten aus dem vielseitigen Leben unseres Institutsmitbegründers berichten können?