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Nils Århammar ist verstorben

Nils Århammar (7.8.1931 - 10.1.2022). Das Foto zeigt ihn bei seiner Dankesrede für die Verleihung des Hans-Momsen-Preises 2014 (Foto: Aika Arlt).

Der Schwede war einer der besten Kenner der nordfriesischen Sprache in allen ihren Dialekten (Foto: Ritva Århammar).

Das Nordfriisk Instituut trauert um seinen früheren Direktor und ersten Inhaber der Friesischprofessur in Flensburg

Es sei gute nordfriesische Tradition, dass wissenschaftliche Begabung erst in der Fremde zur Blüte gelange. So würdigte Nils Århammar vor vielen Jahren einen befreundeten Arzt, der von Föhr stammte und in Schweden zu Ansehen gelangt war. Doch diesen Satz kann man auch gut auf ihn selber anwenden. Nils Århammar kam aus Schweden und hat dennoch wie nur wenige andere für die nordfriesische Sprache gelebt. Und damit in die nordfriesische Sprachgemeinschaft hineingewirkt.

1931 geboren wuchs er auf einem Bauernhof bei Vingåker in Mittelschweden auf, in Sichtweite jener Eisenbahnlinie, auf der im zweiten Weltkrieg Stahl für die deutsche Wehrmacht transportiert wurde; lebhaft erinnerte er sich an Züge mit deutschen Soldaten, denen er als Kind zuwinkte. Seine Heimat erkaufte sich durch solche Fuhren Neutralität.

Sammler und Analyst

Bereits als Jugendlicher sammelte er. Intensiv. Und zwar Pflanzen, sein Herbarium habe „extrordinäre Ausmaße“ erreicht, berichtete er später. Diese Leidenschaft in der Suche nach System lenkte der Germanist Ernst Löfstedt, bei dem er in Uppsala zu studieren anfing, auf die nordfriesische Sprache. Welche seinerzeit nur in Ansätzen dokumentiert und zugänglich war. Und prägte damit nachhaltig Århammars Werdegang, der in unwahrscheinlicher Schnelligkeit und Perfektion sich diese Sprache mit ihren Dialekten aneignete. Ob als Mitarbeiter am „Deutschen Sprachatlas“ in Marburg ab 1955 und erneut ab 1964, als Professor für Friesisch und Gotisch im niederländischen Groningen ab 1976: Århammar sammelte Nordfriesisch. Mit Bleistift und Papier. Vor allem aber mit Tonaufnahmen, deren Auswertung Monate in Anspruch nahm. Zuerst auf Amrum und Föhr – wo er wegen seiner speziellen Aussprache des Friesischen anfangs für einen Amrumer gehalten wurde – , später auf dem Festland, wo er 1960 den letzten Sprecher des Südergoesharder Friesisch viele Stunden auf Tonband mitschnitt. Unter anderem seine Aufnahmen erlauben es, längst vergangene sprachliche Phänomene noch heute zu untersuchen.

Lebenstraum Nordfriesland

1988 erhielt Århammar die neue Professur für Friesisch an der damaligen Pädagogischen Hochschule Flensburg und entwickelte Grundlagen zur Didaktik des heutigen Friesischunterrichts. Zugleich übernahm er als Direktor die sprachwissenschaftliche Leitung des Nordfriisk Instituut. Fortan lebte er in Bredstedt und wirkte in seinem Forschungsgebiet Nordfriesland, ein Lebenstraum erfüllte sich. In den Jahrzehnten seines Ruhestandes feilte er unter anderem am Wörterbuch des Helgoländer Friesischen, unermüdlich auf der Suche nach unbekannten Wörtern und nach letzter Perfektion, unterstützt von seiner Frau Ritva, die – aus Finnland gebürtig und ebenfalls vom Fach – seine Ergebnisse gegenlas und immer aktuell ins Internet stellte. Wo dieses Monumentalwerk jedem zugänglich ist.

Leidenschaftlich, skeptisch, unverzagt

Mit seiner Akribie hat er Grundlagen gelegt, von denen die Wissenschaft bis heute zehrt; konsequent forderte er ein, dass man Daten braucht, wenn man Wege finden will, um die friesische Sprache zu stärken; dass vor der Erkenntnis das Sammeln, Hinterfragen und die fundierte Analyse stehen müssen. Die Vielfalt seiner Arbeit ist eindrucksvoll: Geduldig konnte er die Verwendung eines einzigen Wortes durch viele Zeiten und in vielen Nuancen nachverfolgen. Detaillierte Sprachvergleiche gaben ihm Hinweise, wann das nordfriesische Hinterland besiedelt worden sein mag. Ein Fehler, der ihm beim Sprechen der deutschen Sprache passierte und den er auf seine Zeit in Groningen zurückführen konnte, ließ ihn dieselbe Abweichung bei alten friesischen Texten erkennen; demnach dürfte zeitweise ein Großteil der Föhrer Niederländisch beherrscht haben. Ein andermal legte er systematisch dar, dass Sprachveränderung keine Gefahr für eine Sprache sei, sondern Überlebenschance. Akribisch kommentierte er noch vor zwei Jahren das Standardwerk zur Bedeutung und Herkunft nordfriesischer Ortsnamen. Mancher grundlegende Satz steht an entlegener Stelle, als hätte er Bedenken gehabt, womöglich Unfertiges zu präsentieren. Für Aufsehen in der nordfriesischen Welt sorgte ein Vortrag von 2007, in dem er den Einsatz für die friesische Sprache als verloren erklärte – eine Einschätzung, die er später als „Resignation“ nach „überspitztem Aktionismus“ seiner frühen Jahre beschrieb.

Weiter Horizont und wacher Blick

Ich hatte das Glück, meinen Amtsvorgänger Nils Århammar in den letzten Jahren noch mehrfach besuchen zu dürfen, und ich habe ihn keineswegs als resigniert erlebt, sondern als nüchternen Enthusiasten, als kritisch zugewandten und humorvollen Analytiker. Wenn man liest, wie er als bereits gestandener Wissenschaftler von der Anwendung marxistischer Theorien schreibt – was heute wie ein Echo aus sehr weiter Ferne wirkt – , wenn man bedenkt, dass seine Hauptgewährsperson für Föhrer Friesisch, Maria Faltings, 1866 geboren war und die Zeit legendärer Sprachforscher wie Otto Bremer noch selbst erlebt hatte, wenn man weiß, dass er 1952 als junger Mann am ersten Treffen von West-, Ost- und Nordfriesen nach dem Krieg teilgenommen hatte, dann spürt man unmittelbar, welch langes Gelehrtenleben nun zu Ende gegangen ist.

Seine Hoffnung auf eine breite friesische „Sprachbewegung“, von der Nils Århammar vor bald 50 Jahren schrieb, hat sich nicht erfüllt. Seine wiederholte Mahnung aber bleibt: Friesisch brauche zwar staatliche Unterstützung, vor allem intensiven Schuluntericht für möglichst viele. Aber die friesische Sprache könne weder durch eine einzelne Persönlichkeit noch durch Aktionismus oder Institutionen gerettet werden. Sondern nur durch viele Eltern, die Friesisch mit ihren Kindern sprechen. Und noch eine, fast schon prophetische Aussage: Wo wissenschaftliche Kompetenz fehle oder nicht herangezogen werde, habe sich dies immer wieder als Nachteil ausgewirkt.

Am 10. Januar ist der Schwede, Wahlnordfriese, große Freund der friesischen Sprache und begeisterte Wissenschaftler Nils Århammar verstorben, in seinem einundneunzigsten Lebensjahr. Ein Freund ist gegangen, wir werden seinen wachen Geist vermissen.

Dr. Christoph G. Schmidt, Direktor des Nordfriisk Instituut und Lehrbeauftragter am Friesischen Seminar der Europa-Universität Flensburg